Heute vor 55 Jahren, am 25. November 1963, fand das Begräbnis John F. Kennedys statt, nachdem der amerikanische Präsident drei Tage zuvor in Dallas in aller Öffentlichkeit Opfer eines Attentats geworden war. In den Beständen von The Walther Collection befindet sich eine bemerkenswerte Serie eines unbekannten Fotografen, welche die Fernsehberichterstattung über die Trauerfeier fotografisch dokumentiert. Dafür fotografierte der Autor die Geschehnisse in 87 Bildern direkt vom Fernsehbildschirm ab und lässt uns so in verwackelten Schwarzweißbildern an der Zeremonie teilhaben. Durch ihren hohen Grad an Unschärfe und Körnigkeit geben die Aufnahmen zwar viele Szenen nur schemenhaft wieder, interessant ist jedoch der Anachronismus dieser Geste: Nachdem Generationen von Erfindern mühsam Standbilder in Bewegtbilder weiterentwickelt hatten, vollzieht hier der Fotograf einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung.
Vermutlich sind die Aufnahmen aus der Ahnung heraus entstanden, dass dieser Moment historisch sein und die Welt verändert zurücklassen würde. Mangels anderer Möglichkeiten, dieses wichtige Ereignis festzuhalten, zu speichern und zu archivieren, griff der Fernsehzuschauer zur Fotokamera, was, wie andere "TV Screenshots" in den Beständen von The Walther Collection belegen, in Zeiten vor der Erfindung des Videorecorders ein gar nicht so unübliches Verhalten darstellte.
Die Live-Übertragung im Fernsehen erlaubte es dem Fotografen die Geschehnisse dieses denkwürdigen Tages aus nächster Nähe zu verfolgen, obwohl sie wahrscheinlich in weiter Ferne stattfanden. So deutlich, als ob er aus dem Fenster sehen würde, sah er, was in Washington vor sich ging: Wie sich der lange Trauerzug an weinenden Menschen vorbei langsam auf das Kapitol zubewegte, die Kutsche mit dem von der amerikanischen Flagge bedeckten Sarg. Und er sah Jackie Kennedy, ihr trauriges Gesicht elegant verdeckt vom Trauerflor, an ihren Händen die beiden Kinder.
"Elektrisches Teleskop" wollte Paul Nipkow, der als Erfinder des Fernsehen angesehen wird, den Apparat 1884 zunächst nennen. Die Bezeichnung Fernseher setzte sich schließlich durch und verweist auf die Idee eines offenen Fensters, welches den unmittelbaren Blick in die Ferne ermöglicht. So priesen Fernsehhersteller in den 50er Jahren besonders diese Qualität ihrer Geräte: "Sie haben wirklich die schöne Illusion, dass der Bildschirm Ihres Empfängers so eine Art Fenster, ein zusätzliches Fenster in Ihrer Wohnung ist – ein Fenster, das Ihnen den Blick in die Welt öffnet." (Lambert-Wiesing 2001)
Doch die Nähe zu den Ereignissen wird von dem Medium nur vorgetäuscht. Denn tatsächlich saß der Fotograf zuhause, weit entfernt von den Trauerfeierlichkeiten – allein die Fotos verbleiben als Beweis seiner Teilhabe daran. Sein früher Tod ließ John F. Kennedy zum Mythos werden. Die viertägige werbefreie TV-Übertragung im Anschluss an das Attentat markiert einen traurigen Höhepunkt in dem Kult um seine Person. Gleichzeitig bot dieses Fernsehereignis Millionen von Amerikanern einen Rahmen für ihre kollektive Trauer und ließ kritische Stimmen, die dem Medium jede kulturelle Bedeutung absprachen, verstimmen.
– Henriette Kriese