24. Juni 2019

50 Jahre Christopher Street Day

Wie jedes Jahr im Juni werden aktuell in vielen Städten weltweit wieder Pride Paraden zelebriert. In Deutschland kennt man diese Paraden als "Christopher Street Day (CSD)". Der Name bezieht sich auf die Christopher Street im New Yorker Stadtteil Greenwich Village, in welcher sich bis heute das Stonewall Inn befindet. Vor dieser Bar kam es am 28. Juni 1969 zu heftigen Ausschreitungen zwischen der Polizei und einigen Aktivisten der Schwulen- und Lesbenbewegung. Das Stonewall Inn galt als Zufluchtsort für Angehörige der LGBTIQ-Szene, in dem sich Menschen mit ähnlichen Interessen treffen und austauschen konnten, ohne belästigt zu werden. Solche Bars waren jedoch gleichzeitig häufig Ziele von Polizei-Razzien. Nach damaliger Gesetzeslage hatte die Polizei das Recht, jeden in Gewahrsam zu nehmen, der nicht mindestens drei Kleidungsstücke trug, die seinem Geschlecht zugeordnet waren. An jenem Juniabend begannen die Besucher des Stonewall Inns sich gegen eine solche Razzia und den damit verbundenen Festnahmen zu wehren. In Erinnerung an diese Ereignisse gehen Angehörige der LGBTIQ-Szene bis heute auf die Straße, um für ihre Rechte zu kämpfen und Präsenz zu zeigen.

  • Terry Holiday Grid 1

Je nach Epoche und Kultur wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen in der Vergangenheit sehr unterschiedlich bewertet, akzeptiert oder kritisiert. Während Homosexualität im antiken Griechenland unter bestimmten Voraussetzungen geduldet wurde, waren homosexuelle Handlungen im Mittelalter strikt untersagt und galten in Anlehnung an die biblischen Erzählungen über die Städte Sodom und Gomorra als Sünde.

In den Vereinigten Staaten von Amerika erließ man im 17. Jahrhundert erste Gesetze gegen Homosexualität, die fortan meist mit dem Absitzen einer längeren Haftstrafe und/oder das Verrichten von harter Arbeit geahndet wurde. Die Ausformulierung solcher Gesetze gegen Formen der sogenannten "Sodomie", das heißt gegen alle sexuellen Handlungen, die nicht zwischen Mann und Frau stattfinden, sowie die Festlegung des dafür vorgesehenen Strafmaßes war allerdings Sache jedes einzelnen amerikanischen Bundesstaates und somit von Fall zu Fall unterschiedlich. 1962 empfahl das Musterstrafgesetzbuch "Model Penal Code", dass die Staaten einvernehmliche sodomitische Handlungen aus ihrem Strafkatalog streichen, das Anbieten einer solchen Handlung aber weiterhin unter Strafe stehen sollte. Ab 1971 begannen vereinzelte Staaten derartige Gesetze außer Kraft zu setzen. Erst als 2003 aber der Gerichtsprozess John Geddes Lawrence und Tyron Garner gegen Texas von den Klägern gewonnen wurde, entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, dass die Gesetze gegen Sodomie in Amerika aufgehoben werden müssen.

  • Vp 3768 Walthercollection Unidentifiedphotographer Genderbenders 1950S

The Walther Collection besitzt zahlreiche Fotografien, die sich mit Themen der LGBTIQ-Gemeinschaft auseinandersetzen. Besonders spannend sind dabei die Fotografien der sogenannten vernakularen Sammlung. Hierbei handelt es sich um Bilder, die für private oder kommerzielle Zwecke entstanden sind und ursprünglich nicht für die öffentliche Zurschaustellung in Galerien und Museen konzipiert wurden. Da der rasante technische Fortschritt die Kamera immer benutzerfreundlicher machte, bot die Fotografie bereits kurze Zeit nach ihrer Erfindung im Jahr 1839 auch Laien neue kreative Ausdrucksmöglichkeiten. Fortan konnte jeder, ob Künstler oder Privatperson, dieses Medium auch dazu nutzen, um Kommentare zu gesellschaftlichen Verhaltensnormen oder konservativen Ansichten festzuhalten.

  • Bm 4582 02 Walthercollection Mizerbob Athleticmodelguild Showermodels Ca1970–80S
  • Bm 4582 19 Walthercollection Mizerbob Athleticmodelguild Showermodels Ca1970–80S

In einer Zeit, in der Homosexualität noch verboten war und unterdrückt wurde, leistete der amerikanische Fotograf Bob Mizer beispielsweise mit seinen Aufnahmen männlicher Homoerotik einen wichtigen Beitrag zur Formierung einer homosexuellen Gegenbewegung. Er gründete 1945 die "Athletic Model Guild", für die er junge muskulöse Männer für Aufnahmen castete und sie spärlich bekleidet posieren ließ. Allerdings wurde Mizer 1947 für das Handeln mit obszönen Fotografien für sechs Monate in Haft genommen. Nach seiner Freilassung fand er schnell einen neuen Weg, um seine Bilder zu publizieren. 1951 gründete er schließlich das Magazin Physique Pictorial, welches offiziell als Fitness Magazin fungierte, aber seine Abbildungen eigentlich an ein homosexuelles Publikum adressierte. Bis ins Jahr 1962 war der Abdruck kompletter Nacktaufnahmen von Männern in den USA verboten. Um den Schein zu wahren, orientierten sich die Posen seiner muskulösen Models und die Hintergründe an antiken Vorbildern, um so noch stärkere Bezüge zu den Themen "Fitness" und "Idealkörper" zu schaffen. Das Magazin Physique Pictorial war auch ein wichtiges Karrieresprungbrett für den Illustrator Tom of Finland und diente Künstlern wie Robert Mapplethorpe oder David Hockney als Inspirationsquelle.

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Cross-Dressing stand ebenfalls lange Zeit unter Strafe und konnte nicht öffentlich praktiziert werden. Columbus, Ohio, war 1848 einer der ersten Staaten, der Gesetze erließ, welche es verboten, Kleidung zu tragen, die nicht dem jeweiligen Geschlecht entsprechen. 1863 führte Memphis, Tennessee, in Zeiten des Bürgerkrieges ein ähnliches Gesetz ein, um zu verhindern, dass sich Frauen als Männer verkleidet ins Militär einschleichen beziehungsweise sich Männer als Frauen ausgeben, um dem Militärdienst zu entgehen. Meistens betrafen solche gesetzlichen Einschränkungen bezüglich des Tragens von Kleidung des anderen Geschlechts aber nur Männer. Ab 1940 schränkte die nächste Welle von Gesetzeserlässen Cross-Dressing vor allem im öffentlichen Raum weiter ein. Selbst 2007 wurde in Delcambre, Louisiana, eine Verfügung erlassen, die statuierte, dass es nicht angemessen sei, sich in der Öffentlichkeit in der Kleidung des anderen Geschlechts zu zeigen. Erst zehn Jahre später wurde das Gesetz überarbeitet und untersagt seitdem nur noch das Tragen von zu tiefsitzender Kleidung ab einem Alter von 10 Jahren.

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  • Vp 4558 11 Walthercollection Unidentifiedphotographer Dearmartin 1968

Ein Beispiel für Cross-Dressing in vernakularen Aufnahmen lässt sich in der Fotoserie Dear Martin aus dem Jahr 1968 finden, welche die neu gewonnenen Freiheiten im privaten Raum reflektieren. Sie zeigen einen Mann auf einem Hausdach, der in Unterwäsche und mit einer Sonnenbrille posiert. Es scheint als sei das Hausdach früher zum Sonnen genutzt worden, da der Zaun mit einem Sichtschutz versehen ist und über stark abgenutzte hölzerne Liegeflächen verfügt. Betrachtet man die Bilder genauer, wird deutlich, dass der Mann Damenunterwäsche trägt. Die stets sehr ähnliche Perspektive legt nahe, dass die Bilder mit Hilfe eines Stativs aufgenommen wurden. Ganz im Geheimen fanden diese Aufnahmen allerdings nicht statt – vom gegenüber liegendem Haus hätte man "Martin" bis zum Oberkörper gut sehen können. Vielleicht stellte dies einen gewissen Nervenkitzel für ihn dar, den er mit seiner Kamera dokumentiert hat.

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Nicht nur in Amerika entstanden Aufnahmen, die mit Geschlecht und Identität spielen. Ein Beispiel für einen afrikanischen Künstler ist Samuel Fosso mit seiner Arbeit La femme américaine libérée des années 70 aus der Serie "Tati" (1997). Die Fotografien entstanden in dem Pariser Kaufhaus Tati, in dem Fosso sich ein Studio aufbauen und die dort angebotenen Kleider und Make-Up Artikel verwenden durfte. Samuel Fosso selbst äußerte sich wie folgt über seine Arbeit: "She's a dream. A dream that narrates slavery, segregation, and the desire to be free, to get revenge, to be independent from whites, from men, to be economically independent, to make a career for herself." (Schlinkert 2004: 51) Der Künstler möchte jedoch nicht ausschließlich queere Aufnahmen fertigen, sondern den geschaffenen Charakter – unabhängig von dessen Geschlecht – verkörpern und auf Film bannen. Ergänzend fügte der Kurator Okwui Enwezor hinzu, dass Fosso als einer der ersten Künstler Themen wie Männlichkeit, Geschlecht, Identität und Sexualität in Afrika kommentierte, was durch die Androgynität in seinen Darstellungen zum Ausdruck kommt.

  • RR-4528.11_Walther Collection_Rong Rong

Während in Afrika Kunstwerke, die sich mit Themen von Identität und Geschlecht auseinandersetzen, zwar gesellschaftliche Tabus aufzeigen und auf starke Diskriminierung verweisen, aber nicht unbedingt der Strafverfolgung unterliegen, sind solche Arbeiten in China häufig Opfer einer strengen Zensur und gegebenenfalls auch Anlass für rechtliche Konsequenzen. Das Geschlecht des Menschen ist in dieser konservativ geprägten Kultur ein starres binäres Konstrukt, in dem nur männlich oder nur weiblich existiert. So ist es kaum verwunderlich, dass Ma Liumings Performance-Arbeiten wie Fen-Ma Liuming's Lunch I von 1994 oder Fen-Ma Liuming Walks the Great Wall von 1998 heftige Reaktionen der chinesischen Behörden zur Folge hatten. Durch den Charakter Fen-Ma schuf der Künstler eine Art hybrides Zwischenwesen, das Merkmale beider Geschlechter in sich vereint und Aufsehen erregt. Beide der genannten Arbeiten sind in der aktuellen Ausstellung Then and Now: Life and Dreams Revisited in The Walther Collection in Neu-Ulm bis zum 27.10.2019 zu sehen.

– Susanna Schnelzer

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